Dr. Martin Schima Perspektivengruppe ÖVP,
Leitergrabenweg 4 Arbeitsgruppe Familie und Recht
A-2732 Zweiersdorf April 2007
Ideen für die künftige Ausrichtung der ÖVP zum Schutz des gezeugten Lebens
Rechtliche Ausgangssituation:
In § 97 Abs1 StGB wurde 1974 der Schwangerschaftsabbruch durch einen Arzt unter folgenden Voraussetzungen unter Straffreiheit gestellt:




Die Bestimmung enthält weiters ein (systematisch nicht ins Strafrecht gehörendes) Diskriminierungsverbot jener Personen, die sich für oder gegen eine Abtreibung entscheiden.
Anm. des Verfassers: Bei der folgenden Stellungnahme soll der Tatbestand der Abwendung eines Schadens der Mutter außer Betracht bleiben, da es sich um Ausnahmefälle handelt, die in der Regel auch ohne dieses Gesetz als entschuldigender Notstand straflos wären.
Zu bemerken ist, dass das Gesetz nur die Straflosigkeit regelt, es wird sogar von einer „Tat“ gesprochen, die nicht strafbar ist. Die Lehre im Strafrecht vertritt trotzdem überwiegend die Meinung, es handle sich um eine Rechtfertigung, während ein Gutteil der Menschenrechtsspezialisten (unter anderem Tretter) von einer grundsätzlich rechtswidrigen Handlung spricht, die nur formal nicht der Strafbarkeit unterliegt.
Aus der Wahrnehmung des Verfassers ist zu sagen, dass in den ersten Jahren der Straflosigkeit, gegen die es immerhin ein Volksbegehren mit über 900.000 Unterschriften gab, trotzdem ein Schwangerschaftsabbruch in den meisten Bevölkerungskreisen als Tabu galt und nicht akzeptiert wurde.
Dies hat sich mit der Zeit geändert, paradoxerweise mit wachsendem Wohlstand. Wurde gegen die ersten kommerziellen Abtreibungskliniken 1980 noch heftig demonstriert, so sind mittlerweile sogar Werbungen dafür in Tageszeitungen üblich. Die wenigen Demonstranten, mit sehr religiösem Auftreten, die sich auch heute noch vor den Kliniken finden, werden von der öffentlichen Meinung eher ins extremistische Eck gestellt.
Mitte der siebziger Jahre gab es eine aufgrund einer Beschwerde der Salzburger Landesregierung ausgelöste Gesetzesprüfung durch den Verfassungsgerichtshof, die aus sehr rechtspositivistischen Überlegungen eine Verfassungswidrigkeit der Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruches ablehnte. Es wurde zwar nicht in Abrede gestellt, dass auch für noch nicht geborene Menschen ein Lebensrecht existiert, aber verneint, dass der Gesetzgeber aufgrund der Verfassung dazu verhalten werden kann, dieses durch strafrechtliche Sanktionen durchzusetzen.
Einen rechtlichen „Dammbruch“ hat es 2005 gegeben, als der OGH in Abänderung seiner bisherigen Judikatur die Schadenersatzpflicht eines Arztes annahm, der eine schwangere Patientin nicht darauf hingewiesen hatte, dass das Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit behindert sein werde. Der Arzt hatte für den Unterhalt des Kindes aufzukommen. Es wurde sozusagen judiziert, dass die Geburt eines behinderten Kindes ein materieller Schaden ist.
Über die Anzahl der Abtreibungen lässt sich nichts Zuverlässiges sagen, da sich niemand der offensichtlich sehr unangenehmen Aufgabe unterzogen hat, diese flächendeckend statistisch zu erfassen. All dies scheinen Symptome eines massiven Verdrängungsprozesses zu sein. Es gibt grobe Schätzungen, die von 60.000 Abtreibungen pro Jahr in Österreich sprechen. Selbst dann, wenn sich diese Zahl erst in den letzten Jahren so entwickelt haben sollte, bedeut das, dass weit mehr als eine Million Menschen, also mehr als 12 % unserer derzeitigen Bevölkerung, in den letzten Jahren getötet worden ist.
Bisherige Position der ÖVP:
Wurde im Zuge der Strafrechtsreform seitens der ÖVP noch geschlossen gegen die Einführung der „Fristenlösung“ gestimmt und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof unter der Salzburger ÖVP-Führung eingebracht, so ist festzustellen, dass seit Jahrzehnten auch diese Gesinnungsgemeinschaft dem erwähnten Verdrängungsprozess unterliegt.
Ausschließlich persönliche Meinungen sind es, die rudimentär zu diesem Thema geäußert wurden, wenn man davon absieht, dass vor einigen Jahren die ÖVP Salzburg (offensichtlich in guter Tradition) einen Versuch unternahm, durch Androhung eines Koalitionsbruches auf Landesebene zu verhindern, dass Abtreibungen in Landeskliniken durchgeführt werden. Dieser Versuch ist unter anderem deshalb politisch gescheitert, weil die damalige VP-Gesundheitsministerin Rauch-Kallat verkündete, an der „Fristenlösung“ werde nicht gerüttelt.
Eher abtreibungskritische Äußerungen sind unter anderem von Maria Fekter in Erinnerung.
Bemerkungen von Frau Ministerin Kdolsky, wonach der Mensch „ab der Geburt“ zu schützen sei, lassen vermuten, dass hier ein existentielles Problem nicht mehr wahrgenommen wird, zumal auch die jüngste populistisch ausgeschlachtete Kondomverteilung an minderjährige Schülerinnen ausschließlich als Prävention gegen Aids verkauft wurde.
Bewertung:
Jeder Mensch hat das unverzichtbare Recht auf Leben. Dieses beginnt nicht mit seiner Geburt, sondern mit seiner Zeugung und endet mit seinem natürlichen Tod. Dieses Recht hat Vorrang vor allen anderen Rechten.
Der Stellenwert dieses Rechts ist in unserer Gesellschaft in bedrohlichem Ausmaß in den Hintergrund gerückt. Die fehlende Rangordnung der Grundrechte in unserer Rechtsordnung hat dazu geführt, dass die Durchsetzungsfähigkeit von Rechten geringerer Bedeutung Oberhand über die Existenz von Menschen gewinnt.
Das Streben nach materiellem Wohlstand, Ansprüche an gesundheitliche Wertvorstellungen und Leistungsdruck in Beruf und Freizeit, unzureichende soziale Rahmenbedingungen aber auch die als „Lösung“ suggerierte Straffreiheit der Abtreibung als Verdrängungsmechanismus haben die Existenzvernichtung ungezählter Österreicherinnen und Österreicher verursacht, die zu den tragischsten Ereignissen in unserer Geschichte zählt, bis heute fortdauert und ein weltweites Problem darstellt. Frauen und Männer, Behinderte und Gesunde, Inländer und Ausländer, Menschen aus jeder sozialen Schicht sind davon betroffen.
Dieses Problem, das von seiner Wertigkeit her Vorrang gegenüber vielen anderen politischen Fragen haben müsste, wird fast totgeschwiegen. Dieser Verdrängungsmechanismus sitzt auch bei Gegnern von Schwangerschaftsabbrüchen tief im Unterbewusstsein. Das Wort „Ungeborene“ enthält beispielsweise durch seine Vorsilbe „Un“ schon eine Art Ausgrenzung, weshalb der Begriff „Gezeugte“ zu bevorzugen wäre, denn das drückt die Gleichstellung des Menschen vor und nach seiner Geburt aus.
Schwangere Frauen werden mit der Entscheidung über Tod oder Leben ihrer Kinder vollkommen alleingelassen und stehen in Wirklichkeit oft unter einem enormen gesellschaftlichen sozialen oder partnerschaftlichen Druck, dieses Unrecht an ihnen und ihren Kindern geschehen zu lassen.
Völlig überzogene ärztliche Aufklärungspflichten zwingen entgegen der erklärten Intention des Gesetzgebers Ärzte dazu, Abtreibungen den Weg zu ebnen und solcherart daran mitzuwirken. Die Fortschritte in der pränatalen Diagnostik dienen bisweilen weniger der Gesundung der Menschheit als der willkürlichen Selektion zwischen Leben und Tod.
Die Gewöhnung an dieses nicht mehr neue Phänomen, medizinische und pharmazeutische Möglichkeiten und die steigende Anzahl entsprechender oft kommerziell geführter Einrichtungen lassen die Abtreibungsziffern in den letzten Jahrzehnten ansteigen.
Weil die erstrangig Betroffenen getötet werden, bevor sie sich zur Wehr setzen können, fehlt diesem Problem jeglicher Selbstregulierungsmechanismus, was es von der in Österreich bisher erfolgreich abgewehrten Beseitigung alter und unheilbar kranker Menschen wesentlich unterscheidet. Es geht meist um Menschen, zu denen noch kein anderer einen bewussten persönlichen Bezug hergestellt hat und sie bedürfen deshalb des besonderen Schutzes unserer Gesellschaft. Neoliberale Grundsätze, oder das Vertrauen auf marktähnliche Kräfte werden hier nicht greifen, das abstrakte ethische Wohlwollen anderer ist die einzige Triebfeder hier etwas zu ändern.
Wer sich gegen diese Entwicklungen zur Wehr setzen möchte, wird bisher oft in das frauenfeindliche, extremistische und fundamentalistische Eck gestellt.
Der Schutz des Lebens darf bei aller Wertschätzung, die man diesen Institutionen entgegenbringen kann, nicht eine Aufgabe sein, die ausschließlich den Kirchen und Religionsgemeinschaften vorbehalten ist. Es gilt, das entsprechende Bewusstsein und Gerechtigkeitsempfinden auch in jenen Personen zu erwecken, die keiner solchen Gemeinschaft angehören und es zu einem in unserer Gesellschaft allgemein akzeptierten Grundsatz zu machen.
Der Schwangerschaftsabbruch ist nicht ein bevölkerungspolitisches Problem, sondern ein existentielles. Es geht hier nicht um die Sicherungen unserer Pensionen, sondern um das Leben unserer Kinder. Wenn allerdings mit Maßnahmen zur Reduktion von Abtreibungszahlen eine günstige demographische Entwicklung einhergeht, so ist das durchaus als vorteilhafte Nebenwirkung zu bewerten.
Es darf nicht der Ruf nach Verurteilung oder Vergeltung sein, der uns antreibt, hier etwas zu ändern. An sich dürfte kein Zweifel daran bestehen, dass trotz hoher Dunkelziffer davor, die Strafrechtsreform 1974 einen drastischen Anstieg der Abtreibungsziffern nach sich gezogen hat. Eine Wiedereinführung der Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruches innerhalb der ersten drei Monate wäre jedoch derzeit demokratisch kaum durchsetzbar, würde viel zu kurz greifen, einen Wildwuchs illegaler Abtreibungen nach sich ziehen und zu einer Scheinsicherheit führen, wie sie vor der Einführung der Straffreiheit bestanden hat.
Wiewohl beispielsweise bei der Strafbarkeit von Kinderpornographie die öffentliche Meinung einen völlig konträren Standpunkt einnimmt, ist nicht davon auszugehen, dass die Strafbarkeit derzeit das geeignete und von der Bevölkerung akzeptierte Instrument ist, die Zahlen von Abtreibungen zu reduzieren. Es gilt daher, politisch, vorprogrammierte Konflikte in dieser wichtigen Frage zu deeskalieren und den blinden Ruf nach Strafe dem Ziel der faktischen Durchsetzung des Rechts auf Leben unterzuordnen. Diese Haltung darf aber nicht dazu führen, dass mit der Straffreiheit der Abtreibung auch deren rechtliche Problemlosigkeit und der bedingungslose Anspruch darauf vorausgesetzt wird. Im Fall einer langfristigen Wandlung des öffentlichen Bewusstseins darf die Straflosigkeit nicht Paradigma sein. Der Ausdruck „Fristenlösung“ suggeriert, dass es sich um eine Bewältigung des Problems handelt, wobei übersehen wird, dass auch der Nationalsozialismus sich mit dem Begriff der „Endlösung“ solcher sprachlichen Manipulationen bediente.
Bei aller Wichtigkeit, die (etwa in der ÖVP-Perspektivengruppe) Diskussionen über Familienformen, Art und Legitimation von Formen des Zusammenlebens, oder Fragen des Umgangs mit Patchworkfamilien etc. zukommt, dürfen diese keinesfalls dazu führen, dass etwa alleinstehende Mütter zu alleingelassenen Müttern werden. Der Schutz des Lebensrechtes hat vor dem Schutz von Lebensformen zu stehen.
Vision
Die ÖVP steht für das Recht aller gezeugten Menschen auf Leben. Sie ergreift die Initiative, im Dialog über Religions- und Parteigrenzen hinweg Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Menschen von ihrer Zeugung an das Überleben ermöglichen.
Ziel
Durch nationale und internationale Maßnahmen im gesellschaftlichen, sozialen, politischen, und rechtlichen Bereich soll die Anzahl der Schwangerschaftsabbrüche drastisch gesenkt werden. Wenn deren Rate innerhalb der österreichischen Bevölkerung langfristig unter jene der Morde an geborenen Menschen sinkt, so ist dieses Ziel für unser Land erreicht.
Vorgeschlagene Maßnahmen:
Objektive Erfassung des Problems:



Aufklärung und Bewusstseinsbildung:





Familienrechtliche Maßnahmen:



Soziale Maßnahmen:







Strafrechtliche Maßnahmen:






Zivilrechtliche Maßnahmen:


Infrastrukturelle Maßnahmen:



Schlußbemerkung:
Der Verfasser hofft, dass die in den Perspektivengruppen zu ortende Aufbruchstimmung sich nicht auf die weltanschauliche Anpassung an die übrige Parteienlandschaft erstreckt und dass nicht Randthemen wie die in den Medien breitgetretenen Lebensgemeinschaften Homosexueller, so elementare Themen wie den Schutz von Menschenleben dominieren.
Wenn die ÖVP hier eine neue, sich durchaus von konservativen und neoliberalen Positionen abhebende positive und konstruktive Linie vertritt, kann sie vielleicht ein wenig von dem gutmachen, was sie durch die erwähnte Eingliederung in den Verdrängungsprozess zum Thema Lebensschutz in den letzten drei Jahrzehnten versäumt hat.
Ich wünsche der ÖVP dazu viel Erfolg, möchte meine weitere aktive Mitarbeit zu diesem Thema anbieten und zeichne im Gedenken an die vielen namenlosen getöteten Kinder der letzten Jahrzehnte.
Martin Schima