Der Schriftsteller Navid Kermani befürchtet, dass im Deutschen das generische Maskulinum verschwinden könnte. Er schlägt in seinem Artikel in der Zeit einen Bogen zum Arabischen, das im Koran teilweise beide Geschlechter nennt. Der Grund: Schon im 7. Jahrhundert n. Chr. hatten Frauen laut Überlieferung bemängelt, in der Welt des Koran nicht vorzukommen – er richtete sich nur an Männer, so ihr Vorwurf. Am Anfang der Sure 33:35 werden daher beide geschlechter genannt: „Siehe, die ergebenen Männer und ergebenen Frauen, die gläubigen Männer und gläubigen Frauen (...)." In den 1970er Jahren wurde mit der feministischen Lingustik diese Tradition wiederbelebt, vorher sprachen Autorinnen von sich selbst ganz selbstverständich als Autor. Verständnis hat Kermani für beide Seiten. Selbstverständlich gebe die Grammatik vor, dass ein generisches Maskulinum alle Geschlechter einschließe; dennoch sei auch nachvollziehbar, das Sprache nicht neutral sei, „in ihr bilden sich immer auch gesellschaftliche und politische Verhältnisse ab." Und sie befinde sich in einem stetigen Wandel. Dennoch, so Kermani, müsse Sprache pragmatisch sein, „sonst wären keine Verabredungen möglich, keine gesellschaftliche Ordnung, weder Theorien noch Skatabende." Menschen sprachlich in ihre Verschiedenheiten aufzuteilen, obwohl man eine Gemeinsamkeit meint, sei kontraproduktiv: „Keine Sprache der Welt nennt jedes Mal alle Geschlechter, wenn von einer gemischten Personengruppe die Rede ist, das wäre für die Alltagssprache zu umständlich und für die Poesie zu sperrig. Das brauchen die Sprachen auch nicht, weil sie das Gesagte und das Gemeinte nicht eins zu eins codieren. Sie sind, so formuliert es der Sprachwissenschaftler Olav Hackstein, ‚tendenziell ökonomische Kommunikationssysteme', die durch Implizitheit gekennzeichnet sind: Jeder Hörer versteht, was gemeint ist, obwohl es so eindeutig keineswegs gesagt ist. Sprache funktioniert also auch und gerade durch das, was nicht gesagt, aber von den Hörern mitgedacht wird." Daher nehme er Gendern nicht als emanzipatorisch wahr, sondern als eine geistige und politische Regression. Wer glaubt, jedem Angesprochenen durch das Gendern jederzeit gerecht zu werden, lege ihn erst recht auf eine bestimmte Identität fest. Die Sorge, das generische Maskulinum könnte verschwinden, begründet Kermani mit seiner Beobachtung der Gesellschaft: Vor allem jüngere Frauen würden sich in einer direkten Anrede gerne direkt angesprochen fühlen. Das "-in" am Ende eines Wortes (z. B. Studentin) erlaubt diese Möglichkeit – und Kermani zieht sie der Partizipkonstruktion Studierende vor. Gleichzeitig würden die Vorzüge des generischen Maskulinums nicht mehr an Schulen gelehrt - daher gehe das Wissen um diese Möglichkeit, sich präzise auszudrücken, schlichtweg verloren. Für die Geschlechtergerechtigkeit habe dies aber keine Vorteile, so Kermani:
„Erst in einer gleichberechtigten Gesellschaft müsste man vom generischen Maskulinum nicht mehr abweichen. Umgekehrt bringt sein Verschwinden die Gleichberechtigung keinen Schritt voran."
HINWEIS:
Sprachfeminismus in der Sackgasse